Grenzwerte & Rechtslage

Grenzwerte: Seit Jahren deutliche Überschreitungen der Grenzwerte für Stickoxide

Zum Schutz der menschlichen Gesundheit gelten seit dem 1. Januar 2005 europaweit Grenzwerte für Feinstaubpartikel bis maximal zehn Mikrometer (PM10). Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist rund 120-mal so dick. Der Tagesgrenzwert beträgt 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft  und darf nicht öfter als 35-mal im Jahr überschritten werden. Der zulässige Jahresmittelwert beträgt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Je feiner der Staub, umso gefährlicher ist er, da er viel tiefer in den menschlichen Organismus eindringt. Für die noch kleineren Partikel (PM2,5) gilt daher seit 2008 europaweit ein Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel, der seit dem 1. Januar 2015 eingehalten werden muss.

Für Stickstoffdioxid (NO2)  sind zwei Grenzwerte seit 1. Januar 2010 gesetzlich verpflichtend von den Kommunen einzuhalten. Der über eine Stunde gemittelte Grenzwert für NO2 beträgt 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Dieser darf maximal 18 mal im Jahr überschritten werden. Der Jahresgrenzwert beträgt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Weil Deutschland in mehreren Städten die Grenzwerte für die Luftreinhaltung seit langem überschreitet, hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

In München lag die Schadstoffbelastung durch Stickstoffdioxid an vielen Messstellen in den letzten Jahren deutlich über dem zulässigen Grenzwert. Besonders drastische Beispiele sind die Landshuter Allee und der Stachus. Allerdings zeigen die aktuellen Messungen, dass die Luftschadstoffbelastung in München ein flächendeckendes Problem darstellt.

Jahresmittelwerte Stickstoffdioxid

An einigen Stellen ist die Belastung besonders drastisch. Menschen in der Landshuter Allee oder am Stachus sind seit Jahren einer Belastung durch Luftverschmutzung weit über der Grenzwerte ausgesetzt.

LÜB-Station

2011
  • Stachus:
    76
  • Landshuter Allee:
    85

LÜB-Station

2012
  • Stachus:
    60
  • Landshuter Allee:
    81

LÜB-Station

2013
  • Stachus:
    64
  • Landshuter Allee:
    81

LÜB-Station

2017
  • Stachus:
    53
  • Landshuter Allee:
    78

LÜB-Station

2014
  • Stachus:
    62
  • Landshuter Allee:
    83

LÜB-Station

2018
  • Stachus:
    48
  • Landshuter Allee:
    66

LÜB-Station

2015
  • Stachus:
    64
  • Landshuter Allee:
    84

LÜB-Station

2016
  • Stachus:
    56
  • Landshuter Allee:
    80

Aus den Ergebnissen von Modellberechnungen ist darüber hinaus bekannt, dass der Stickstoffdioxid-Grenzwert für das Jahresmittel an einer Reihe weiterer stark verkehrsbelasteter Straßen mit Randbebauung nicht eingehalten werden kann. Zu diesen Straßen zählen beispielsweise  Tegernseer Landstraße, Prinzregentenstraße, Humboldtstraße, Kapuzinerstraße, Lindwurmstraße und Frauenstraße.

Stadt München stiehlt sich aus der Verantwortung

Wie ist eigentlich die Rechtslage? Und wer ist für saubere Luft zuständig? Vertreter der Stadt München erklärten in der Vergangenheit mehrfach, ihnen seien die Hände gebunden, die Luftreinhaltung sei Aufgabe des Freistaats. Der wiederum stellte 2004 einen Luftreinhalteplan für München auf und erweiterte ihn bereits sechs Mal,  nachdem die Luftschadstoffbelastungen nicht zurückging. Doch die Maßnahmen greifen nicht, die Grenzwerte werden nach wie vor überschritten. Derzeit erarbeitet die Regierung von Oberbayern eine neue Erweiterung des Luftreinhalteplans. Doch nach den veröffentlichen Entwürfen zu urteilen, ist auch diese wenig versprechend.

Dies sieht auch das Verwaltungsgericht München so: Mit seinem Urteil vom 29. September 2016 verpflichtet es den Freistaat Bayern dazu, wirksamere Maßnahmen als bislang zur schnellstmöglichen Einhaltung des gesetzlichen Immissionsgrenzwerts für Stickstoffdioxid  in der Stadt München zu ergreifen.

Das Gericht führt weiter aus, dass sich weder der Freistaat Bayern noch die Landeshauptstadt München der Pflicht zur Einhaltung der Grenzwerte entziehen könne. Das Argument, eine Lösung der Luftreinhalteproblematik könne nur unter Berücksichtigung des tatsächlichen Schadstoffausstoßes von Dieselfahrzeugen auf europäischer Ebene erfolgen, sei nicht gültig. Durch eine effiziente Luftreinhalteplanung sei eine schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung herbeizuführen.

Am 27. Februar 2017 traf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gegenüber dem Freistaat Bayern zur schnellstmöglichen Einhaltung des Immissionsgrenzwerts für Stickstoffdioxid folgende Regelungen:

  • Ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro wird für den Fall angedroht, dass der Freistaat nicht bis zum Ablauf des 29. Juni 2017 ein vollständiges Verzeichnis aller Straßen in München öffentlich macht, an denen der Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid aktuell überschritten wird.
  • Ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 Euro wird für den Fall angedroht, dass der Freistaat nicht bis zum Ablauf des 31. August 2017 im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Vorbereitung der Fortschreibung des Luftreinhalteplans bekannt macht, dass Verkehrsverbote für Fahrzeuge mit Dieselmotor in Bezug auf aufzulistende Straßen(abschnitte) in den Luftreinhalteplan aufgenommen werden sollen, welche zeitlichen und sachlichen Einschränkungen für diese Verkehrsverbote gegebenenfalls geplant sind und hinsichtlich welcher Straßen(abschnitte) von Verkehrsverboten abgesehen werden soll.
  • Ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 Euro wird für den Fall angedroht, dass der Freistaat Bayern nicht bis zum Ablauf des 31. Dezember 2017 ein vollzugsfähiges Konzept zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans veröffentlicht, aus dem sich ergibt, dass Verkehrsverbote für Fahrzeuge mit Dieselmotor in Bezug auf aufzulistende Straßen(abschnitte) in den Luftreinhalteplan aufgenommen werden, welche zeitlichen und sachlichen Einschränkungen für diese Verkehrsverbote gegebenenfalls zur Anwendung kommen sollen und hinsichtlich welcher Straßen(abschnitte) von Verkehrsverboten abgesehen wird.

(Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2017, Az. 22 C 16.1427)

Auf Grund dieses Urteils brachte Münchens Oberbürgermeister zurecht im Juni 2017 flächendeckende Fahrverbote in die Diskussion ein.

Rechtslage: Gesetze und Grundlagen zur Luftreinhaltung

“Clean Air for Europe” (CAFE)

Grundlage für jede Maßnahmen zur Luftreinhaltung ist die Strategie „Clean Air for Europe“ (CAFE), die die Europäische Kommission 2005 zur Bekämpfung von Luftverschmutzung vorgestellt hat. Mit dieser Strategie verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, bis zum Jahr 2020 das Ausmaß an Luftverschmutzungen so weit zu verringern, dass hiervon keine inakzeptablen Auswirkungen für Mensch und Umwelt mehr ausgehen.

EU-Richtlinie über Luftqualität

Die Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft in Europa (Richtlinie 2008/50/EG) setzt diese grundsätzliche Strategie in EU-Recht um. Das Europäische Parlament beschloss diese EU-Luftqualitätsrichtlinie  2007. Sie beinhaltet Grenz- und Zielwerte, die eine unbedenkliche lufthygienische Situation für die menschliche Gesundheit und Umwelt sicherstellen sollen. Diese Richtlinie legt für alle EU-Mitgliedsstaaten einheitliche Immissionsgrenzwerte fest. Auch die Erstellung von Luftreinhalteplänen im Falle der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten ist in der EU-Luftqualitätsrichtlinie bereits verankert.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland

Die Europäische Kommission hat am 18. Juni 2015 gegen Deutschland mit einem Aufforderungsschreiben ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Überschreitung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte eingeleitet. Sie hat das Aufforderungsschreiben auf 29 Gebiete bezogen, in denen 2010 bis 2013 der Jahresmittelgrenzwert, und in drei Fällen, darunter auch München, auch der Stundenmittelgrenzwert, überschritten wurde. In diesem Aufforderungsschreiben weißt sie u.a. darauf hin, dass Deutschland vor Inkrafttreten der Grenzwerte mindestens zehn Jahre Zeit hatte, um die Einhaltung der Vorschriften vorzubereiten.

Jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist verpflichtet, dieses europäische Recht in nationales Recht zu übernehmen und die Grenzwerte der EU-Luftqualitätsrichtlinie einzuhalten. In Deutschland erfolgt diese Umsetzung durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz (§47 BImSchG) und die Bundes-Immissionsschutzverordnungen (39. BImSchV, 2008/50/EG). Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit legt darin konkrete Immissionsgrenzwerte und Messverfahren fest und schreibt die Information der Bevölkerung bei Überschreitung der Grenzwerte vor.

Der Vollzug des Gesetzes erfolgt auf Landesebene. Die Landesumweltbehörde entscheidet, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Immissionsgrenzwerte einzuhalten. Im Falle einer Grenzwertüberschreitung ist sie dazu verpflichtet, einen Luftreinhalteplan zu erstellen. Die Regierung von Oberbayern hat unter Beteiligung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt und der Landeshauptstadt München einen Münchner Luftreinhalteplan erstellt. 2004 setzte ihn das Bayerische Staatsministerium erstmals in Kraft. Darin enthalten sind konkrete Maßnahmen wie die Einführung einer Umweltzone oder die Umsetzung von Tempolimits zur Verbesserung der Luftqualität im Münchner Stadtgebiet. Dieser Luftreinhalteplan wurde inzwischen sechsmal fortgeschrieben, verfehlt aber weiterhin sein eigentliches Ziel: Saubere Luft in München.

Ab September 2019 verhandelt der Europäische Gerichtshof über die Möglichkeit Zwangsinhaftierungen gegen bayerische Amtsträger, wie Markus Söder, zu verhängen, die sich – auch nach Strafzahlungen – weigern, für saubere Luft in München zu sorgen.

Akteure

EU

Europäische Kommission
  • Beschließt Clean Air for Europe Strategie (CAFE)

EU

Europäisches Parlament
  • Beschließt Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft in Europa („EU-Luftqualitätsrichtlinie“)

EU

Bundesministerium für Umwelt
  • Erlässt Bundes-Immissionsschutzverordnungen (BImSchV) auf Basis des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG)

Bayern

Regierung von Oberbayern
  • Erarbeitet Luftreinhalteplan.

Bayern

Bayerisches Landesamt für Umwelt
  • Erarbeitet Luftreinhalteplan.

Bayern

Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit
  • Setzt Luftreinhalteplan in Kraft.

München

Landeshauptstadt München
  • Erarbeitet Luftreinhalteplan.

München

Referat für Gesundheit und Umwelt
  • Setzt Maßnahmen des Luftreinhalteplans um.

Mit unserem Reinheitsgebot legen wir  ein pro-aktives städtisches Aktionsprogramm für zeitgemäße, nachhaltige Mobilitätsstrategie vor. Ziel ist, dass 80 Prozent der Wege in München bis 2025 auf emissionsarme Fahrzeuge, den Öffentlichen Personennahverkehr, sowie Fuß- und Radverkehr entfallen. Ein jährlicher Bericht wird über die Fortschritte in Bezug auf die Erreichung der Ziele sowie der Umsetzung der Maßnahmen informieren.

Eine detaillierte Liste mit konkreten Forderungen ist im Reinheitsgebot für Münchner Luft (PDF) zu finden.

Quellen:
Verwaltungsgericht München 1. Kammer, 21. Juni 2016, Aktenzeichen: M 1 K 15.5714